Nun haben wir die 8 Tore durchschritten.
Wir schauen zurück und fragen:
• wie bin ich durch jedes Tor gegangen
• was für Risiken habe ich genommen
• was hat mich geblendet
• was nehme ich mit
• was habe ich gehen lassen
Eine Geschichte und ein Tanz. Ein Lachen und ein Weinen. Der Kreis ist jetzt offen.
Tschüss ihr wilden, weisen Weiber – ich vermisse euch.
Basu
Die Alte Schamanin
Eine Reise durch die 8 Tore
Die Frühjahrsstürme sind dieses Jahr besonders heftig – die alte Schamanin sitzt in ihrer Jurte und lauscht hinein in dieses Toben und Rütteln. Das hölzerne Gerüst ihrer Jurte ächzt und knarzt, seine Biegsamkeit ist meisterlich. Genau diesen Tag hat sich das Orakel gewählt. Seltsam. Nachdenklich begibt sie sich zu der Feuerstelle in der Mitte ihrer Jurte, begrüßt die Himmelsrichtungen, die Geister ihres Landes, und ihr Blick verbindet das Große Oben mit der Mutter Erde. Dann entfacht sie das Feuer – schnell züngelt es in die Höhe und übergibt den würzigen Duft der eingestreuten Kräuter den stürmischen Frühjahrswinden.
Die alte Schamanin nimmt ihre Trommel, schließt die Augen und verschmilzt mit den tiefen, vollen Tönen, die ihr so vertraut sind. Heute wird sie ihren Ruf hinaussenden, heute öffnet sie die 8 Tore. 4 Sonnentore sind es und 4 Mondtore. Das ist ihre Medizin, das ist ihre Vision und das ist ihre tiefste Herzensangelegenheit.
Welche Frau wird den Ruf hören, welcher Kreis wird sich finden und welche Geschichten möchten gehört werden?
Der letzte Trommelschlag hallt durch die Jurte und die alte Schamanin tritt vor die Türe und begrüßt den neuen Tag. Der mächtige Frühjahrssturm zerrt sofort an ihren Kleidern, kaum kann sie sich auf ihren Beinen halten – eine Furcht mischt sich in ihren Ruf, eine Ahnung huscht vorbei – und doch spürt sie in ihren Knochen ein wurzeltiefes Wissen um den richtigen Zeitpunkt. Haargenau richtig ist er.
Eine Adlerin tanzt mit dem Wind – sie wird den Neubeginn hüten, jeglichen Neubeginn wird sie hüten.
In der Nacht träumt die alte Schamanin von Frauen, die ein Wissen in sich tragen, die lernen werden mit dem Sturm zu reiten, die in ihren alten Wunden ihre Eigenmächtigkeit entdecken, die staunend und tief berührt ihr ganz eigenes Seelenlied hören und die Bestätigung wagen – sie werden jedes Tor durchschreiten.
Und sie träumt von einer alten Schamanin, die ihre Jurte abbauen wird. Der Frühjahrssturm hat nachgelassen – der nächste Tag beginnt warm und sanft.
Der neue Kreis formt sich, der Ruf hat einen klaren Weg in die Landkarte jeder Frau gezeichnet. Und sie haben sich aufgemacht, haben ihm vertraut, sind ihrem Herzen gefolgt. Erwartungsvoll, offen, auch furchtsam, klug und mit viel Lebenserfahrung können sie den Beginn ihrer Reise durch die 8 Tore kaum erwarten.
Doch die kosmischen Kräfte dieses Neubeginns sind im Osten gebündelt – ein Balanceakt kündigt sich an. Die Adlerin breitet ihre Flügel aus und fliegt weit, weit hinauf. Denn Überblick ist von Nöten. Etwas vollkommen Unvorhersehbares, zutiefst Erschütterndes wirft Alle und Alles zurück. Die Tore schließen sich, bevor sie geöffnet werden konnten.
Die alte Schamanin kennt die Kraft der Krisen, sie weiß, dass jede eine Geschichte hinterlässt, die weit in die Zukunft reicht. Der Forscherinnengeist ist gefragt, die Närrin, der Kojote, die 13. Fee oder eine, die den Rhythmus der Tore kennt. Eine, die fremde Länder bereist und ihre Tänze erlebt hat, eine, die verbinden kann, wo Worte fehlen. Schnell wie der Wind ist sie gefunden.
Diese Frau tritt in die Jurte, wach, etwas überrascht, verschmitzt und voller Freude. Ganz selbstverständlich nimmt sie ihren Platz ein. Mit ihren Füßen erspürt sie die Räume, darauf kann sie sich verlassen. Ja, so ist es gut.
Die Zeit vergeht und die Frauen treffen sich das erste Mal im Herbst statt im Frühling. So geht es gleich in den Westen. Der Sommer wird übersprungen und die Bärin lädt dazu ein, sich die persönlichen Lebenswege zu erzählen. Endlich sitzen die Frauen miteinander im Kreis und ihr Herzensruf wird Wirklichkeit. Sie fühlen sich tief verbunden. Das Herbsttor wird gefeiert, getanzt und bestätigt.
Es ist so wohltuend und nährend.
Doch der Balanceakt ist noch nicht vorbei. Wieder wird es unmöglich sich zu treffen. Das Wintertor öffnet sich nicht. Die alte Schamanin zieht sich zurück, ist erschöpft von diesem anstrengenden Jahr und seinen enormen Herausforderungen. Sie hört den Schrei der Adlerin, hört ihren Warnruf und entscheidet sich schweren Herzens für eine Auszeit. Nie hätte sie sich so etwas vorstellen können. Und nie hätte sie sich vorstellen können mit wieviel Liebe, Unterstützung und Verständnis sie daraufhin von den Frauen beschenkt wird. Erntezeit und Würdigung durchweben die Winterzeit der alten Schamanin. Doch etwas Jähes, Dunkles und Grenzüberschreitendes weicht trotz allem nicht von ihrer Seite. Ihr Innerstes wird bedroht.
Der Winter geht vorüber, schon wird die Jurte wieder von der Morgensonne beschienen. Nochmals einen Neubeginn wagen? Die Adlerin hält ihr Versprechen. Der Kreis öffnet sich, drei weitere Frauen kommen dazu.
Doch bevor das Frühjahrstor richtig beginnt, erkrankt die alte Schamanin lebensbedrohlich. Die Frauen sind aufgewühlt. Was sollen sie tun? Wieder abbrechen, oder gilt es jetzt mit dem Sturm zu reiten? Die Adlerin nimmt sie unter ihre Fittiche und fliegt mit ihnen in den Osten. Hier zeigt sie ihnen ihre wilde Herzenskraft, ihren Mut und ihr altes Wissen. Und sie schaffen es – sie halten die Balance. Sie gehen durch das Frühlingstor. Alleine. Die Kraft des Ostens wird zu ihrer Medizin.
Und während all dem, wird der Lebensfaden der alten Schamanin von der tiefen Liebe ihrer wunderbaren, weisen und sehr kraftvollen Seelenfreundin gehalten. Sie ist es, die sich jetzt auf die Essenz konzentriert. Sie ist von je her mit der Adlerin verbündet. Und sie weiß um die Schwelle, die noch überschritten werden muss. Die Heilung braucht ihre Zeit. Dann ist es soweit.
Nochmals öffnet sich das Frühjahrstor. Die alte Schamanin würdigt die Kraft der Frauen und geht mit ihnen durch das Tor. Göttinnenleicht und Eichenstark. Zum Schluss hält jede ihr Bündel in der Hand – genäht, gebunden, gefaltet. Dies wird der Hüteraum für die Medizingaben der Tore.
Und das Dunkelmächtige? Es bleibt. Es wächst. Es verunsichert. Das Früjahrsfeuer kann den zerstörerischen Schattenraum nicht erhellen. Wieder geraten die Frauen in einen Sturm.
Die alte Schamanin erhebt sich und trifft eine Entscheidung. Die Schwelle ist vorbereitet. Die Schnitterin wird gerufen, sie ist bereit – unmissverständlich.
Die Sichel schimmert im Mondlicht. Die alte Schamanin nimmt sie in die Hand – sie hat sich für ihre Heilung, für ihre Leute und für das Große Ganze entschieden. Die Adlerin weicht nicht von ihrer Seite.
Und wieder ist alles offen – diesmal wird der Ruf zum existentiellen Prüfstein. Wird es überhaupt ein Sommertor geben? Weitere Tore? Der Schnitt ruft die Frauen ans Feuer. Alles ist möglich. Auch ein weiterer Schnitt. Der Kreis hält den Raum und alles darf gesagt und gezeigt werden. Traumata, Enttäuschung, Wut, Unverständnis, Trauer, Überforderung, Tränen, Hoffnungen und Ängste. Ganz zaghaft webt sich etwas hinein, leise und klar. Die Kostbarkeit von Grenzen. Stille. Innehalten. Atmen.
Die Kräfte der Frauen scheinen aufgebraucht. Die Tänzerin erspürt den Raum. Ja, der Zeitpunkt ist haargenau richtig. Jetzt einen Tanz? Jetzt? Ja, genau jetzt. Die unverletzten Sommermädchen spitzen die Ohren, der Rhythmus für den ersten Sommertanz ist kühn gewählt – die Sehnsucht nach dem Rot kennt kein Zögern und schon pulsiert der Sommer durch die kraftvollen und sturmerprobten Frauen. Ja, sie sind bereit für diesen wagemutigen Sommertanz. Und schon spüren sie diese tiefe, ihnen innewohnende Verbundenheit.
Wilde Tänze erhitzen die Frauenseelen, Körperbilder erzählen tiefberührende Frauengeschichten. Jede gibt ihr ganz ureigenes So-sein in den Kreis. Offen, verletzlich, geschützt und gewürdigt. Das Sommertor öffnet sich. Jede Frau steht stolz und aufrecht am Feuer und jede Frau bestätigt ihre Eigenmächtigkeit und tanzt ihre Lust und Lebensfreude .
Sekt und Sex – und wieder beginnen sie von Neuem, diese wunderbaren, wilden Sturmweiber.
8 Frauen sind es jetzt und sie tanzen durch jedes Tor, vieles wird transformiert, manches braucht die Auseinandersetzung, das direkte Gegenüber, um die eigene Form spüren und gestalten zu können. Das Ganzwerden jeder Frau gleicht mitunter einer Schatzsuche – beliebt und für eine Überraschung gut sind dafür die persönlichen Aschethemen. Und da gibt es auch soviel Witz, Schalk und herrlich dröhnendes Gelächter. In diesem funkelnden Kessel brodeln die feurigen Verwandlungen der Frauen. Sie scheuen sich auch nicht, ihre schwachen Seiten zu zeigen.
So dreht sich das Medizinrad weiter. Samhain ist ihr letztes Tor und es ist auch das letzte Tor für die alte Schamanin. Sie hat ihre Arbeit getan. Sie hat so vielen Frauen den Freiraum, die Liebe und die weise Klarheit geschenkt, ihren ganz eigenen Weg zu gehen, ihrer Intuition zu vertrauen, sich zu wagen – immer wieder. Und sie hat, verbunden mir ihrer Leidenschaft und ihrer Transparenz, gezeigt und gelehrt, dass Selbstannahme und Selbstliebe ein wilder, mächtiger, politischer, undogmatischer und versöhnlicher Frauenweg ist. Schwierig durchaus, unangenehm bis hin zu Fluchtgedanken und doch weiß die Wilde Seele längst, dass sie hier heilen und wachsen kann. Jede Frau ist die Meisterin ihres Seelenrufs. Der Traum der alten Schamanin erfüllt sich. Sie baut ihre Jurte ab. In ihrer bunten Reisetasche träumt ein Ruf. Die Frauen sind tief bewegt und packen ebenfalls ihr Bündel. Dann drehen sie sich um und schauen alle zusammen in den Westen – eine von ihnen hat sich dort ein Stück Land gekauft.
Und wieder ist alles offen. Die Adlerin dreht hoch oben ihre Kreise.
Christine Kostritza
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